#allesaufdenTisch 2.0: Interview mit einem Notfallsanitäter

Beitragsbild von Ingo Kramarek auf Pixabay

Katharina Münz: Guten Morgen, inspiriert von der Aktion #allesaufdenTisch möchte ich einige Interviews mit Experten führen, die hoffentlich zu einer Versachlichung der Situation und einem Informationszugewinn führen.
Mein Name ist Katharina Münz, ich bin Autorin und Bloggerin.
Den Auftakt macht Timm Liebecker (Name geändert), Notfallsanitäter.
Guten Morgen, Herr Liebecker, vielen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben, meine Fragen zu beantworten.

Timm Liebecker: Hallo Frau Münz, vielen Dank dass Sie mir die Möglichkeit geben etwas beizutragen.

Katharina Münz: Die Idee zu diesem Interview entstand aus einer Unterhaltung auf Twitter. Sie antworteten auf einen Tweet, wonach der Virologe Klaus Stöhr gesagt habe:
»Die meisten Corona-Patienten auf den Intensivstationen sind übergewichtig, haben einen Migrationshintergrund oder kommen aus sozial schwachen Regionen.«
Dies stimme mit Ihren Beobachtungen im Rettungsdienst überein.
Wann ist Ihnen das aufgefallen und wie äußert sich das – quantitativ und qualitativ?

Timm Liebecker: Ich arbeite nun seit 15 Jahren im Rettungsdienst. Zwar wohne ich in einer Metropole mit einem sehr hohen Ausländeranteil, dennoch habe ich das Gefühl, dass sich deutsche und exotische Namen normalerweise die Waage halten.
Dies hat sich jedoch bei den Corona Fällen geändert.
Der Großteil – und ich würde das hier jetzt auf über 90% schätzen – sind Namen, die in meiner Region als nicht Deutsch angesehen würden. Diese Beobachtung bestätigen mir auch alle meine Kollegen.
Während in der ersten Welle noch viele schwere Fälle dabei waren, komme ich mir mittlerweile eher wie ein Infekt-Taxi vor, das Patienten wegen einem Husten ins Krankenhaus fährt.
Ich kann mich nicht erinnern jemals einen Patienten wegen Corona gefahren zu haben, der aus einem reichen Viertel kam. Das sind eher Menschen aus Sozialbauten.
Klaus Stöhrs Aussage mit den Übergewichtigen kann ich hingegen so nicht bestätigen.

Katharina Münz: Wie sieht es mit alten Menschen aus? Pflege-/Altenheimbewohnern?

Timm Liebecker: Nach der ersten Welle waren alle Alten, die ich so gefahren habe ohne Symptome.
Die haben meist gar nicht verstanden warum sie jetzt ins KH müssen. 🙂
Als Anekdote aus meinem Alltag: Ich habe neulich eine Einweisung vom KVB Arzt gefahren. Das sind die Ärzte, die kommen, wenn man 116117 ruft.
Da lag eine Dame aus Afrika im Bett und hatte starken Husten.
Wir müssen sie natürlich ins Krankenhaus fahren, da wir eine Einweisung vom Arzt haben. (Er ist weisungsbefugt.)
Das Problem war: Er hat daraus einen Corona Fall gemacht obwohl die Dame nur nicht verstanden hat, dass sie schon von einem Arzt, der davor da war, ein Rezept für Codein Tropfen gegen ihren Husten bekommen hatte …
Und sowas passiert nur noch. Das war nur eine kleine Anekdote – aber es sind nur noch solche Fälle.
Den letzten Patienten, der keine Luft bekommen hat, habe ich 2020 gesehen.

Katharina Münz: Corona bzw. Covid-19 ist eine Viruserkrankung, mit der gewiss nicht zu spaßen ist. Als Notfallsanitäter bekommen Sie das Geschehen in direktem Kontakt mit. Können Sie einen Unterschied feststellen zu Jahren mit starken Grippewellen in der letzten Dekade, wie zum Beispiel 2017/18 (Exzessmortalität 25.100), 2016/17 (Exzessmortalität 22.900), 2014/15 (Exzessmortalität 21.300) und 2012/13 (Exzessmortalität 20.600)?
Quelle

Timm Liebecker: Die erste Welle war die entspannteste Zeit im Rettungsdienst seit langem.
Ich habe mir eine Nintendo Switch gekauft, weil wir so wenig zu tun hatten.
Die Menschen haben an unsere Scheibe geklopft und uns Geld geschenkt.
Und viele haben sich verbeugt, als sie uns im Schutzanzug gesehen haben.
Am Anfang war natürlich sehr viel Panik dabei und der Bürger dachte, dass im Krankenhaus das Virus lauert.
Ich habe am Anfang auch gedacht, dass das jetzt eine richtig ernste Sache werden würde.
2018 und die Jahre zuvor waren alle Krankenhäuser meiner Stadt voll mit Influenza-Patienten.
Naja. Also 2018 oder 2017 habe ich die Polizei ins Krankenhaus gerufen, weil die meinen Patienten nicht mehr aufnehmen wollten/konnten.
Das gab’s während Corona nicht.
Jedes Jahr seit sicherlich 8 Jahren sind alle Notaufnahmen und Kliniken jeden Winter kurz vor dem Kollaps.
Ein Pfleger aus der Notaufnahme hat gesagt: »Ich liebe Corona. Ich kann hier zum ersten Mal seit 15 Jahren meinen Job richtig machen.« – Weil so wenig los war.

Katharina Münz: Vielen Menschen fällt in jüngster Zeit auf, dass es (scheinbar?) vermehrt zu Rettungseinsätzen mit Martinshorn komme. Als Notfallsanitäter können Sie dies – zumindest für Ihre Stadt, Ihren Einsatzort – anekdotisch einordnen. Werden Sie in den letzten Wochen und Monaten häufiger als zuvor in Anspruch genommen?
Und wenn ja: Haben Sie hierbei über die Zeit einen Wandel feststellen können oder ist die Zahl Ihrer täglichen/wöchentlichen/monatlichen Einsätze in den letzten eineinhalb Jahren die gleichen geblieben?

Timm Liebecker: Also bei uns ist es so dass wir schon seit längerem auch vor Corona eigentlich einen Einsatz nach dem anderen hatten.
Aber unsere Wache ist auch sehr, sehr einsatzreich.
Aber wenn ich zu Hause bin kommt es mir auch so vor als würde man vermehrt das Martinshorn hören.
Wie gesagt während Corona war’s sehr entspannt
Und jetzt ist es wieder sehr viel
Wir haben hier aber auch ca 30% zu wenig Autos.

Katharina Münz: Einen sehr sensiblen Bereich stellen Suizide dar. Da meine Mutter sich selbst getötet hat, kann ich dieses Thema nicht übergehen. Mitte 2020 kursierten in der Presse Berichte darüber [https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/suizide-in-berlin-steigen-im-ersten-quartal-drastisch/], dass in Berlin die Zahl der Selbsttötungen und -versuche – belegt durch die entsprechenden Einsatzcodes der Feuerwehr-Noteinsätze – dramatisch angestiegen seien. Aktuell wurde die Veröffentlichung der Suizid-Statistik 2020 durch das Statistische Bundesamt erneut verschoben [https://reitschuster.de/post/veroeffentlichung-der-suizidzahlen-fuer-2020-erneut-verschoben/].
Meine Frage: Kommen Sie in Ihrem beruflichen Einsatz als Rettungssanitäter mit Suiziden bzw. Selbsttötungsversuchen in Kontakt, und falls ja: Konnten Sie eine Veränderung feststellen?

Timm Liebecker: Erstmal mein Beileid. Meine Mutter ist auch letztes Jahr verstorben. Zwar auf mehr oder weniger natürliche Weise aber ich kann den Schmerz nachvollziehen.
Die Gerüchte aus Berlin habe ich auch gehört. Ich komme mit so gut wie jedem Einsatzbild in Kontakt. Eine Zunahme von Suiziden kann ich nicht bestätigen. Auch von Kollegen habe ich jetzt nicht mitbekommen, dass sie mehr mit Suiziden zu tun haben.

Katharina Münz: Als Mutter liegen mir besonders Kinder und als Autorin von NewAdult-Romanen insbesondere junge Menschen am Herzen. Sie haben in den letzten eineinhalb Jahren sehr zurückstecken müssen. Aus Ihrer professionellen Perspektive als Beschäftigter im Gesundheitswesen: Welchen gesellschaftlichen Umgang würden Sie sich für Kinder, Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene wünschen?

Timm Liebecker: Das ist eine sehr komplexe Frage. Unsere Gesellschaft ist mittlerweile so seltsam geworden. Die sozialen Medien die ständige Verfügbarkeit und die Schnelligkeit haben so massiv zugenommen.
Photoshop. Tiktok. Facebook. Das ist alles nicht gut für generell jeden Menschen aber besonders für Kinder.
Ich bin seit Beginn der Pandemie der Meinung dass man Kinder generell einfach in Ruhe lassen hätte sollen.
Die Perspektivlosigkeit ist glaub ich auch ein grosses Problem. In meiner Kindheit sah die Zukunft sehr rosig aus.
Heute gibt es nur noch den Ausblick auf eine dystopische Welt.
Sei es der Tod durch den Klimawandel oder durch Seuchen oder sonstige Horrorszenarien.
Oder vielleicht ein Zwischendings aus 1984 und Brave new World.
Wenn man dann noch 24/7 aus den sozialen Medien beschallt wird mit Menschen denen es angeblich so viel besser geht und die ja alle so glücklich sind.
Dass dieses Glück dem man dann hinterher hastet garnicht existiert und somit niemals erreichbar da komplett erschwindelt ist ….

Katharina Münz: Meine Frage bezog sich eigentlich auf die Situation der Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden in der Pandemie, aber ich finde es sehr gut, dass Sie den Fokus Ihrer Antwort da breiter setzen.

Timm Liebecker: Während der Pandemie hat der Medienkonsum natürlich massiv zugenommen.
Man hat Kindern und Jugendlichen so viele wichtige Dinge genommen.
Es ist ein Verbrechen.
Es gibt nur einmal eine Einschulung. Nur einmal einen 18. Geburtstag.

Katharina Münz: Sie schreiben, dass in Ihrer Kindheit sich die Zukunft sehr rosig darstellte.
Ich weiß nicht, welcher Jahrgang Sie sind, aber für uns (67 bzw. 68 geboren), waren zunächst der atomare Overkill des Kalten Krieg und dann Tschernobyl sehr präsent.

Timm Liebecker: Ich bin 83er Jahrgang.
Also bei uns gab’s ja eigentlich keine Doomsday Szenarien.
Y2K hat ja keiner so ernst genommen und auch der Maya Kalender war eher ein Witz.

Katharina Münz: Bei uns gab es durchaus dystopische Zukunftsszenarien, aber die waren meistens sehr weit entfernt (obwohl wir neben dem ältesten Atommeiler Deutschlands aufwuchsen und im Nachbarort die Pershings mit den Atomsprengköpfen stationiert waren, die auch schon mal fast hochgingen wie in Heilbronn).
Aber in unserem Alltag war das weit weg. Da standen die kleinen Probleme und die kleinen Träume im Vordergrund.
Wahrscheinlich haben Sie Recht, dass die (allzeit verfügbaren) Medien hier eine Veränderung herbeigeführt haben.

Timm Liebecker: Definitiv. Das Bombardement an Informationen ist einfach viel zu groß.
Aber zurück zu ihrer Frage. Ich kann das schwer beantworten da meine Kinder 3 und 0 sind. Wir waren jetzt nicht so betroffen.

Katharina Münz: Tipp von einer „altgedienten“ Mutter: Sie können das für Ihre Kinder auch aktiv gestalten, sie von dem Irrsinn abschirmen.
Zum Beispiel kein TV-Programm laufen lassen, sondern eine private Videothek anschaffen mit DVDs von Klassikern. Ich sage nur: Astrid Lindgren, Augsburger Puppenkiste, Erich Kästner, Findus und Pettersson, Catweazle …
Unsere Kinder sind wahrscheinlich die einzigen ihrer Jahrgänge, die Catweazle kennen. Sie fanden es sehr seltsam, als sie klein waren. Aber jetzt, mit 29, 23,20 finden sie es gut, dass sie das als Normalität erleben durften und nicht die Anpreisung von 72 Geschlechtsidentitäten und ähnlichen Quatsch.

Timm Liebecker: Ich habe auch vor meinen Kiddies die guten alten Sachen zu zeigen und nicht den woke Wahnsinn.

Katharina Münz: Zum Abschluss eine sehr persönliche Frage: Als Notfallsanitäter haben Sie ja direkten Kontakt zu Ihren Patienten – akut erkrankten Personen.
Wie schützen Sie sich vor einer Infektion mit SARS-CoV-2?
Verraten Sie uns Ihr »Geheimrezept« oder gibt es in Ihren Augen keine allgemeingültige Prävention?

Timm Liebecker: Wir haben im Rettungsdienst einen Hygieneplan. Der ist zwar etwas Unterschied von Organisation zu Organisation aber die Basics sind gleich. FFP2 Maske, Schutzoverall bzw Schutzkittel und eine Schutzbrille sind vorgegeben.
Danach wird der RTW/KTW mit bestimmten Tüchern geputzt. Bei uns sind das welche mit Wasserstoffperoxid.
Während der ersten Welle war die Vorgabe dass erstmal ein Kollege in Vollschutz zum Patienten geht und schaut was los ist und dann den zweiten Kollegen nachholt. Das ist heute nicht mehr so.
Ein Geheimtipp habe ich leider nicht obwohl ich bis jetzt ohne Infektion durch die Pandemie gekommen bin.

Katharina Münz: Vielen Dank für Ihre Zeit und das tolle Gespräch!

Timm Liebecker: Danke für das Interview!

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