Gastbeitrag: Die öffentlich-rechtliche Nordstream-Nebelkerze

von Rocco Burggraf

Tatorte ARD und ZEIT

„Also, was den Fall Nordstream angeht, wird ja ermittelt. Wurde alles letzten Herbst schon gemeldet. Die Dänen ein bißchen. Die Schweden sollen irgendwie federführend beauftragt sein. Gut, die Untersuchungen erfolgten jetzt offenbar nicht mit allerhöchster Priorität, denn das Thema, das Deutschland für die nächsten Jahrzehnte seine führende Stellung als Industrienation und Exportweltmeister, und im Zuge dessen die Deutschen ihren über Jahrzehnte erarbeiteten Wohlstand kosten dürfte, könnte…wie sagt man?…Teile der Bevölkerung verunsichern.

Die Untersuchungen könnten Teile der Bevölkerung verunsichern

So begnügte man sich erstmal damit, dass Experten im öffentlichrechtlichen Abendfernsehen herumrätselten, ob Putin denn seine Sprengladungen nun gleich beim Bau platziert oder erst später per Rohrpost durch die Leitungen gepustet hatte. Dann wurde noch bekannt, dass der Sprengstoff C4 verwendet wurde. Und zwar in Mengen, die sämtliche Seismografen in den Anrainerstaaten ausschlagen ließen und eine hohe zweistellige Millionen-Investition erfordert haben dürften. Und dann war Stille. Und trotzdem den Allermeisten klar, was da bei Bornholm gelaufen war.

Angesichts explodierender Lebenshaltungskosten kommt der Endverbraucher ins Grübeln

Aktuell, also ein reichliches halbes Jahr später, wird nun der, angesichts explodierender Lebenshaltungskosten grübelnde Endverbraucher von einem Recherteam der ARD und ‚ZEIT‘ darüber unterrichtet, dass „Sicherheitsbehörden in Deutschland, den Niederlanden und den USA“ offenbar immer noch knallhart an der Sache dran sind. Darüber hinaus noch „Polizeien, Justizbehörden und Geheimdienste aus mehreren europäischen Ländern“. Jo, dieses koordinierte Vorgehen auf ganz breiter Front konnte man in etwa so erwarten. Viel hilft ja bekanntlich erstmal viel. Vielleicht setzt man sich sogar ‚zeitnah‘ mal zusammen und tauscht sich aus.

Die pflanzenförmigen Faktenchecker

Zu diesen, etwas dürftigen Lebenszeichen der Ermittelnden sah man sich zweifellos durch den Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh genötigt, der mitten in die allgemeine Stille hinein, mit seinem knochigen Finger auf den riesigen Elefanten im Raum gezeigt hatte. Nach dem der erste Schock verdaut war, fiel dem Redaktionsnetzwerk des Guten allerdings nicht viel mehr ein, als dem unbotmäßigen Überbringer der Botschaft einen demenziellen Altersstarrsinn ans Revers zu heften. Lediglich die Profis vom Faktencheck der ARD unternahmen noch einen inhaltlichen Vorstoß und vermeldeten triumphierend, dass die von Hersh behauptete, romantisierend florale Platzierung des Sprengmittels in 80m Tiefe doch unüblich bis unwahrscheinlich sei. Damit hatten sie zweifellos Recht. Dass der Pulitzerpreisträger Hersh das nie behauptet hatte, sondern die intellektuelle Eingreiftruppe von der ARD mal wieder in eine ihrer gähnenden Bildungslücken gefallen war, überraschte den gestählten deutschen Gebührenzahler hingegen kaum noch.

Mein Name ist Hase …

Nun aber – Verzagen gilt nicht – haben sich die Deutungsmächtigen neu formiert. Das „Rechercheteam“ präsentiert, zufällig zeitgleich mit der ebenfalls für unabhängige Berichterstattung bekannten ‚New York Times‘, (die sich ihrerseits auf „nicht namentlich genannte US-Regierungsbeamte“ beruft), dass es neue Erkenntnisse von „US-Geheimdiensten“ gebe, wonach eine „pro-ukrainische Gruppe“ für den Anschlag verantwortlich sei. Also nochmal langsam und zum Mitschreiben: Ein namentlich nicht näher bekanntes Rechercheteam…meldet unter Bezug auf namentlich naturgemäß nicht genannt sein wollende Geheimdienstkreise…, und namentlich ebenfalls nicht bekannte US-Regierungsbeamte…, dass eine namentlich nicht näher bekannte „proukrainische“ Gruppe…, hier ihr zerstörerisches Werk vollbracht habe. Gut, Namen tun also wenig zur Sache. Nationalitäten sind auch nicht bekannt. Aber im Detail ist man doch weit fortgeschritten.

… mein Süßer mit mir segeln gehn

Es wurden zum Beispiel „professionell gefälschte biometrische Pässe“ verwendet. Dies ergibt sich zweifellos aus der Tatsache, dass sich kaum jemand besser mit gefälschten biometrischen Pässen auskennt, als Vermieter von Segelbooten. Eine 15m lange Segelyacht nämlich war es, die sich das Terrorkommando für ihre Operation erwählt hatte. Zweifellos eine kluge Entscheidung, denn Miet-U-Boote mit den benötigten ausgebildeten Spezialtauchern, speziellem Abseilgerät, Tauchkissen für schwere Haftminen und Sonar sind ja heute kaum noch bezahlbar und haben darüber hinaus einen zweifelhaften ökologischen Fußabdruck.

Von hinten …

Das mit dem Mietvertrag ging lt. Tagesschau und ‚ZEIT‘ dann so: Eine, im Besitz zweier namentlich selbstverständlich nicht näher bekannter aber bekanntermaßen ukrainischer Geschäftsleute befindliche, aber polnische Firma hatte die Segelyacht entdeckt und angemietet. Warum, bleibt erstmal das Geheimnis der Rechercheure, denn das sechsköpfige Unterwasserteam inklusive „Tauchassistenten und Ärztin“ mietete dann das Boot keineswegs bei der ins Spiel gebrachten, ominösen Firma sondern selbst direkt beim Besitzer. Unter Verwendung eben ihrer „professionell gefälschten“ Pässe. Schade nur, dass auf den professionell gefälschten biometrischen Pässen offensichtlich alles Mögliche stand, nur eben Namen und Nationalitäten nicht. Nun ja, wir halten fest, die Faktenchecker haben immerhin herausgefunden, dass die Yacht regelrecht überbucht war.

… durch die Brust …

Fragen könnte man noch, wieso die explosive Besatzung nicht einfach von einem polnischen Hafen aus, mit einem polnischen Gefährt die etwa 150km Wasserweg bis zur Sprengstelle in Ostseemitte zurücklegte und am Abend nach der Rückkehr auf den Erfolg anstieß, sondern sich einen Hafen an der deutschen Küste aussuchte, nur um anschließend einen etwa doppelt so weiten Seeweg zurückzulegen. Einen Ort zu dem man dann mit sechs Personen und einer Tonne explosiven Plastiksprengstoffs C4, erst quer durch drei Länder fahren musste. Einem Sprengstoff übrigens, dem bei der Herstellung zur Verhinderung von Missbrauch Geruchsstoffe und Metallstäube beigefügt werden, um das Auffinden mit Spürhunden und Röntgenapparaten zu erleichtern. Okay, vermutlich wollte man bei der nicht alltäglichen Arbeit auch ein bißchen Thrill haben. Wenn schon denn schon.

… ins Auge

Los ging‘s nach Darstellung von Tagesschau und ‚ZEIT‘ in Rostock. Wurde zunächst gemeldet. Als man beim Rechercheteam darauf stieß, dass eine Verladung von Hunderten Kilo Sprengmittel und ein konspirativer Start in Rostock doch aufgrund der ortsüblichen Besucherfrequenz zu Land und zu Wasser eher ungeeignet wäre, präzisierte man den Startpunkt nochmal. Wieck hieß nun plötzlich der knallhart ermittelte Ausgangshafen, an dem sich die Beladung und das in See Stechen abgespielt haben mussten. Ein etwa 50km von Rostock entfernt liegendes, beschauliches Urlaubsörtchen, das ich – wie der Zufall so spielt – sehr gut kenne. Der idyllische Hafen liegt in Ortsmitte, umgeben von Hotels und Ferienwohnungen, die einen repräsentativen Blick auf den Anleger am Ende einer Wiese haben. Eine stolzes 15m Schiff wurde da noch nie gesehen, denn das Boddenwasser ist dort in etwa hüfthoch und selbst die ortstypischen Zees- und Ruderboote müssen sich behutsam an den zahlreichen Sandbänken vorbeischlängeln.

… und doch knapp vorbei

Der eigene fehlende Tiefgang musste inzwischen wohl ein zweites Mal von den Recherchespezialisten in der Redaktionskonferenz aufgearbeitet worden sein. Denn aktuell wird nun der Ausgangspunkt ins ähnlich klingende Wiek auf Rügen verlegt, das nochmal schlappe 100km entfernt liegt. Bis ins ursprünglich genannte Rostock immerhin schon 130km. Schwamm drüber. Mit dem Nahen Osten, noch dazu der Einöde Vorpommern kennt man sich so kurz nach der Wende beim investigativen Gebührenfernsehen noch nicht so aus. Nun also Rügen. Bis in die winzige, unglücklicherweise nach Westen statt nach Osten, zum Ziel hin orientierten Bucht, ging‘s offensichtlich mit den Sprengladungen über den Rügendamm. So und nicht anders müssen wir uns das jetzt vorstellen. Vermutlich sind beim Passieren der rumpeligen Zufahrtswege dann auch die wasserdicht verschweißten Sprengkörper undicht geworden. Was wiederum erklärt, warum auf dem Kombüsentisch des Segelschiffs später eindeutige Sprengstoffspuren gefunden wurden. Ein diesmal eindeutiges Indiz, denn bekanntermaßen nehmen es die Ukrainer mit der Sauberkeit der zurückgegebenen Mietobjekte nicht so genau wie die pingeligen Deutschen. Vermutlich sind sie deshalb noch nicht in der EU.

Die verlässlichste Quelle: Die Regierung

Wie sauber dagegen das deutsche Rechercheteam gearbeitet hat, wird auch deutlich, wenn man weiß, dass man dort extra nochmal nachgefragt hat. Nämlich, ob die pro-ukrainische Selbsthilfetruppe nicht doch von den Klitschkows losgeschickt wurde und ob Selenskij und Putin jetzt beide endgültig raus sind aus der Nummer. Die Investigativprofis haben also in Kiev angerufen, so heißt es, und sich beim „Regierungsberater Selenskijs“ vergewissert, dass man in Kiev von nichts wusste. „Nein!“, hat der Regierungsberater zum Erstaunen der medialen Freizeitkommissare mitgeteilt, der Wolodymir habe „von der Sache nichts gewusst!“ Aber, man sei auch ein bisschen stolz, lasse dieser ausrichten, dass man bei ARD und der ‚ZEIT‘ der Ukraine offenbar eine derart ausgefeilte Operation zutraut. Ob man darauf nun wiederum bei ARD und ‚ZEIT‘ auch ein bißchen stolz ist, ist nicht bekannt.

Beitragsbild von kalhh

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