Gastbeitrag: Warum – oder wie es soweit kommen konnte

Beitragsbild eigener Entwurf basierend auf Foto von geralt

von Ray Magini

Eine Arbeitshypothese zu einer gespaltenen Gesellschaft

Die Frage nach dem Warum, dem Wieso eine solche gesellschaftliche Situation entstehen konnte ist eine Frage, die vermehrt aufkommt und an mich herangetragen wurde.

Vor Corona

Bereits vor Corona hat einerseits eine Erosion der gesellschaftlichen Kohäsionskräfte und andererseits ein individueller und kollektiver Sinnverlust Fahrt aufgenommen. Die Ursachen dafür sind vielfältig: soziale Vereinsamung, zunehmende Bindungs- und Sprachlosigkeit, die Zunahme prekärer Jobs, Existenzängste sowie zunehmende Identitätskonflikte, etc..

Das Internet

Interessanterweise hat das Internet über die Jahre eine gravierende identitätsstabilisierende Funktion übernommen. Immer mehr Menschenverschwinden‚ zunehmend in ‚virtuellen Welten‘ und leben dort bestimmte Identitätsrollen aus, die im realen Leben zunehmend ‚pönalisiert‘ werden.

Corona als (vorläufiger) Endpunkt

Diese Form der „sozialen Thermik“, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, ist abschließend nicht einzig und alleine Corona geschuldet. Corona ist der Endpunkt dieser Fahrt und nicht dessen Startpunkt. Corona hat uns den gesellschaftlichen Status Quo nur sehr deutlich vor Augen geführt.

Die Ursachen und die Verluste waren schon vorher angelegt und haben ihre Wirkung schon lange subkutan entfaltet.

Neuer Gemeinschaftssinn

Krisen wirken immer traumatisierend und vernichten auf individuellen und kollektiven Ebenen Sinn. Was aber bedeutet es, wenn eine Krise auf eine Gesellschaft trifft, die ihrerseits in einer tiefen Sinnkrise steckt. Eine Vielzahl von Menschen hat scheinbar plötzlich einen lang verlorenen und vermissten Gemeinschaftssinn wiedergefunden: „Wir kämpfen gemeinsam gegen Corona“. WIR gegen Corona. Endlich ein WIR in einer Welt voller ICHS.

Toxischer Dualismus

Es war die Geburtsstunde jenes toxischen Dualismus, der zwischen WIR oder RECHTS unterschied und dessen Fortschreibung einen immensen gesellschaftlichen Schaden angerichtet hat. Ein Dualismus, an dem sich eine gesellschaftliche und politische Mehrheit beteiligt hat und um dessen Aufarbeitung sich zu drücken versucht wird. Schließlich hat ja das WIR mitgemacht und die Feststellung eines Fehlers lässt sich mit dem neu entwickeltend Gemeinschaftssinn nicht in Einklang bringen.

Feindbild „rechts“

Lustigerweise hat die politische Linke auch wieder zu einem längst verlorenen Feindbild zugerückgefunden – der Dualismus als sinnstiftende Ressource. Die Rechten sind wieder da, imaginäre, übermächtig, überall und haben gefühlt an dem neu konstruierten, verletzlichen WIR gekratzt. Wer nun dachte dass die ‚Sippenhaft‘ ein bloßes historisches Relikt deutscher Rechtsgeschichte sei, durfte in den vergangenen Jahren dessen Wiederaufleben erfahren.

Als Demoteilnehmer wurde man wahlweise als Nazi, Antisemit, Asozialer oder neuerdings auch als Putin-Freund begrüßt. Da standen Gegendemonstranten mit SPD Fähnchen an den Aufzügen oder hinter Fenstern und zeigten den Demonstranten den gestreckten Mittelfinger. Sozialdeviantes Verhalten als gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensform. Eine interessante Entwicklung. Welches Relikt kramen wir als nächstes aus der Mottenkiste der deutschen Rechtsgeschichte hervor und reanimieren es wieder?

Willkommen in Absurdistan

Die ganze Geschichte ist voller Widersprüchlichkeiten. Da trugen Menschen ihre neu erfundene Solidarität und eine konstruierte Moralität wie eine Monstranz vor sich her und zeigten mit den Fingern auf die ‚Aussätzigen‘. Menschen wurden faktisch und sprachlich ausgegrenzt. Die Ausgrenzung von gesunden Menschen wurde zur solidarischen Schutzpflicht ernannt. Die Menschenwürde entwertet und rechtsstaatlichen Garantien umgangen. Wir scheinen in der aktuellen Lage nicht mehr zu wissen, was das Gute, was unsere Werte, was Mensch, Menschlichkeit oder Humanität ist, aber was das Unmenschliche, das Unsolidarische ist, wissen wir genau.

Kalte Irrationalität

Rückwärts statt vorwärts zu gehen scheint mir absurd. Der Corona-Wahn, der Wahn des neu gefundenen Wir-Gefühls unterwirft die gesellschaftlichen Beziehungen einer kalten Irrationalität, die das Leben der Menschen vergiftet. Alles wird in einem Überwachungs- und Coronazwang über einen Kamm geschert. Verloren geht der Sinn für das Disparate. Die Menschen werden zunehmend ihrer Individualität und ihrer Rechte beraubt.

Totaler Staat und totalitäre Wissenschaftssicht

Die Erosion unseres Humanitätsideals und der Ausverkauf unserer bürgerlichen Rechte haben bereits begonnen und schreiten unaufhörlich fort. Der Kult der Dezision, der Angst, der Gefahr und des Ausnahmezustände bereiten einem totalen Staat den Weg. Ein freier und offener demokratischer Prozess kann in einem solchen Klima nicht gedeihen.

Zeitgleich zu den Widersprüchlichkeiten appellierte man an Sprachsenibilität und schwenkte Toleranz-Fahnen. Grundlage allen Übels ist eine totalitäre Wissenschaftssicht, die nur die Meinungen von bestimmten Personen als Wissenschaft deklariert. Ein ‚Star‘ dieser illustren Szene ist ein Gesundheitsminister, der offensichtlich keinen Schimmer von PublicHealth hat, noch in der Lage ist eine Studie ordentlich zu lesen, immer nur denselben monothematischen Nonsens verbreitet und sich zunehmend in Widersprüchlichkeiten verzettelt. Willkommen bei der Kernkompetenz des Team Wissenschaft™️.

Ebenenverschiebung

Auf einer Sachebene eine kann man dies alles nicht mehr verstehen. Aber hier geht es ja auch nicht um Sach- , sondern um Sinnebenen.

In einem der letzten Ärztespaces wurde das Thema Brückenbau besprochen. Versuche, Menschen auf einer Sacheebene mit Zahlen, Daten, Fakten und Studien anzusprechen funktioniert nur dann, wenn das Gegenüber auch diese Ebene besetzt. Hier sehen wir eine Ebenenverschiebung. Mit Sachargumenten lassen sich Menschen, die auf einer Sinnebene (oder Angstebene) agieren nicht ansprechen.

Fakten gefährden das neue WIR

Der neu erworbene Sinn, das neue WIR wird durch Sachargumente in Frage gestellt. Das führt immer zu aggressiven Abwehrreaktionen. Diese können wir auf Twitter zu hauf sehen. Da werden absurde Argumente, Vergleiche oder Studien präsentiert, die an Lächerlichkeit kaum zu überbieten sind.

Aufarbeitung

Das Geschehene muss aufgearbeitet werden, alleine schon um den sozialen Frieden wiederherzustellen. Dies wird aber m. E. eine Sysphus-Arbeit werden, die sich nicht kurzfristig realisieren lässt. Hinzu kommt, dass unsere Politiker mit Ihrer Wirtschafts- und Ukrainepolitik erneut mit einen ideologischen Identätsspalthammer auf unsere Gesellschaft einschlagen und weitere Spaltungen auch noch forcieren.

M. E. wird diese Situation, wenn sie sich ungebremst weiter so entwickelt kein gutes Ende finden. Die Ampel wird die Legislaturperiode nicht überstehen. Was bleiben wird ist eine zutiefst gespaltene Gesellschaft.

Um es mit Grönemeyer zu sagen: „Wenn die Menschen aggressiver werden, liegt das auch in der Verantwortung der Politik.“

Wir müssen aus dem Schlaf aufwachen, unsere sehen und übernehmen. Verantwortung ist nicht nur ein Wort, eine chemische oder rechtliche Formel. Wir alle sind gefragt jetzt Verantwortung zu übernehmen.

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