Gastbeitrag: Die neue Normalität

Beitragsbild von AlirazaGurmani auf pixabay

Gastbeitrag von Frau Hummel*

*alle Namen zum Schutz geändert.

Ein Realbeitrag

Frau Hummel erzählt: Es war letzte Woche Mittwoch. Ich telefonierte seit 30 min. mit meinem Papa. Über dies, über das, über Corona.

Das große „C“ hat ja mittlerweile überall in der Gesellschaft seinen festen Platz. Mir gefiel anfangs ein Witz, der es meines Erachtens auf den Punkt bringt:

Treffen sich ein Influenza-Virus und ein Corona-Virus.
Fragt das Influenza-Virus:
„Wie kann das sein, dass du in so kurzer Zeit dermaßen bekannt geworden bist? Ich habe über Jahrhunderte unzählige Menschen krank gemacht, Millionen sind in meinem Namen gestorben. Du bist verhältnismäßig harmlos. Wie kann das sein, dass sie eine solche Angst vor dir haben?“
Das Corona-Virus lächelt:
„Ich habe die deutlich bessere PR.“

Meine Gedanken waren abgeglitten, während mein Papa von seiner Aufklärungsarbeit im Familienkreis erzählte: „Vor 14 Tagen habe ich zu A.* gesagt, dass er und seine Frau sich nicht impfen lassen sollen. Dein Onkel hält mich für verrückt. Er sagt, die Impfung sei die einzige Rettung der Menschheit ist. Ich lachte ihn aus, weil 99% der Menschen nicht direkt vom Corona-Virus betroffen sind. Und von dem einen Prozent sterben auch kaum …“

„Ja, mir brauchst du das nicht erklären“, unterbrach ich ihn. „Spar dir die Energie. Und, haben Onkel A.* und seine Frau sich impfen lassen?“

„Ja. Alle. Nicht nur diese zwei. Auch meine anderen beiden Brüder und deren Frauen.“

„Dann bist du der einzig Ungeimpfte, Papa?“

„Ja. Letzte Woche bekamen sie alle ihren Stich.“

Ich lachte. „Stich.“

„Ich muss dir noch etwas sagen.“ Die Stimme meines Papas wird ernster. „Stell dir vor: Deine Tante liegt im Krankenhaus.“

„A.*? Aber nicht wegen der Impfung? Erzähl doch nicht!“ Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Auch ein etwas ungläubiges. Ich kannte nur eine Handvoll Corona-Positive, wovon 2 eine Art Grippe hatten, 2 eher Schnupfen, und einer gar nichts. Niemanden, der an „C“ gestorben wäre bzw mit. Unser Kreiskrankenhaus hatte seit Wochen Null C-Fälle, und die, die mal da gewesen waren, waren von den Zahlen der Influenza-Fälle der letzten Jahre weit, weit entfernt. Eine Überlastung der Intensivstation wäre also jetzt nur möglich bei -1 Bett. Ich dachte wieder an den Witz.

„Doch.“ Er druckste herum. „Ich habe so ein schlechtes Gewissen …“

„Das verstehe ich nicht.“

„Letzte Woche habe ich mit A.* telefoniert, und als dein Onkel mir erzählte, dass er und seine Frau ihren ‚Stich‘ nun hätten, rutschte mir raus, dass ich immer gedacht hatte, er und A.* würden mal an meinem Grab stehen, weil ich der älteste bin. Stattdessen würde ich wegen der Impfung an ihren Gräbern stehen. Und jetzt …“

„Papa!“ Mir wurde mulmig. „Da kommt doch noch was?“

„Ja“, sagte er, nicht ohne Panik in der Stimme. „Da kommt noch was! A.* liegt im Krankenhaus. Sie hatte erst Fieber, Erbrechen, Bluthochdruck. Dann Kopfschmerzen. Ihr ging’s immer schlechter. Dann ins Krankenhaus. Seit zwei Tagen liegt sie im Koma und …“

„Und?“

„Vor zwei Stunden habe ich deinen Onkel angerufen. Ich dachte, ich würde hören, dass A.* wieder zuhause ist. Da sagte er: Im Gegenteil. Er solle …“ Ruhe am anderen Ende.

„Papa! Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“

„… er solle mit dem Schlimmsten rechnen!“, flüsterte Papa.

„Das kann doch nicht sein …“ Ich versuchte zu erfassen, was er sagte, aber es erschien mir unwirklich.

„Ich muss auflegen, Hummelchen, ich bekomme einen Anruf.“ Er drückte mich weg.

In meinem Kopf fühlte es sich benommen an. Tante A.* war 59. Ich wusste von Papa, dass sie die letzten Wochen zuhause geblieben war. Onkel A.* war zum Einkaufen gegangen. Sie hatte sich nicht getraut. Zu viel Angst vor Corona. Huch, mein Telefon klingelte erneut.

„Anna ist tot!“, schrie mein Papa ins Telefon und legte auf.

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